„Die Musik kann nichts für die Gräuel und Schrecken, die Menschen angetan werden“! Eine musikalische Lesung am Lüttfeld-Berufskolleg

Eine musikalische Lesung am Lüttfeld-Berufskolleg für Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums für Gesundheit und Soziales: Die Rezitatorin Ulrike von der Linden (dritte Person von links) und der Cellist Marko Simic (zweite Person von links) präsentierten den Roman "Alma" von Dagmar Fohl. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Deutschlehrerin Inge Dahl (links im Bild). Karsten Strack (rechts im Bild), Künstlerischer Leiter des Literaturbüro OWL betonte, dass solche musikalischen Lesungen an Schulen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, junge Menschen politisch zu sensibilisieren und ihre Fähigkeit zur Empathie zu fördern.

Lemgo. Am Lüttfeld-Berufskolleg fand eine musikalische Lesung aus dem Buch „Alma“ der Schriftstellerin Dagmar Fohl statt, die von der Rezitatorin Ulrike von der Linden und dem Cellisten Marko Simic präsentiert wurde. Für die Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums für Gesundheit und Soziales war es ein eindrucksvoller Vortrag, der sie emotional berührte und zum Nachdenken anregte. In dem Buch „Alma“ geht es um den Überlebenskampf eines Musikalienhändlers und Cellisten namens Aaron Stern in der Zeit des Nationalsozialismus.

Zum Inhalt der Geschichte heißt es im Buch: „Kein Vergessen. Hamburg 1933. Aaron Stern, assimilierter Jude und Cellist, betreibt einen Musikalienhandel in der Stadt. Er erlebt die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und die zunehmende Bedrohung der Juden. In der Pogromnacht wird Aaron verhaftet und im Konzentrationslager interniert. Er wird nur aus der Haft entlassen, wenn er alle Papiere für eine Ausreise aus Deutschland nachweisen kann. Seiner Frau Leah gelingt es, alle Unterlagen sowie Tickets für das HAPAG-Schiff „St. Louis“ mit dem Reiseziel Kuba zu besorgen. Doch Leah ist schwanger und erleidet durch die Aufregungen eine Frühgeburt. Mutter und Kind überleben, aber das Kind ist zu schwach für die weite Reise und das Paar muss Deutschland ohne seine Tochter verlassen. Eine verhängnisvolle Odyssee beginnt. In keinem Land finden Aaron und Leah sichere Aufnahme. Nach leidvollen Erfahrungen als Schiffsflüchtlinge und Lagermusiker kehrt Aaron nach Hamburg zurück, um seine Tochter zu suchen.“ Die Geschichte veranschaulicht beispielhaft anhand des Lebens von Aaron Stern die Verfolgung und Ermordung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 und thematisiert auch die Nachkriegszeit. Der Titel des Buches „Alma“ bezieht sich auf dem Namen der Tochter von Aaron und Leah Stern. 

Die Rezitatorin Ulrike von der Linden wählte Passagen aus dem Buch „Alma“ aus, mit denen sie die Handlung der Geschichte verständlich und die Gedanken und Gefühle der dargestellten Personen nachvollziehbar machte. Sie trug den Text mit großer Konzentration und sprachlicher Ausdruckskraft vor und weckte bei den Schülerinnen und Schülern Aufmerksamkeit und Interesse. Die Musik ist in der Geschichte „Alma“ von großer Bedeutung. Aaron lernt, Cello zu spielen. Sein Cellolehrer bringt ihm zudem Lebensweisheiten bei, an denen er sich auch in Gefahr und Not festhalten kann. Die Musik hilft ihm, die Zeit der Unterdrückung und Verfolgung zu überstehen. „Für mich war die Musik Mittel zum Überleben“, sagt Aaron an einer Stelle, „für mich war das Musizieren im Lager eine Möglichkeit, mich innerlich frei zu fühlen, denn ich vergaß alles um mich herum, sobald ich den Bogen strich. Wenn ich spielte, zumindest, wenn ich gute Musik spielte, war ich bei mir selbst, war ich weit fort von der Realität, die mich umgab. Ich war allein mit der Musik, mit meinem Cello, das mich in eine andere, reine Welt trug. Die Musik lässt sich nicht beschmutzen, niemals. Die Musik kann nichts für die Gräuel und Schrecken, die Menschen angetan werden.“ 

Die Lesung aus dem Buch „Alma“ fand in einem Dialog mit Musikstücken statt, die von dem Cellisten Marco Simic vorgetragen werden. Er spielte klassische Kompositionen, die auch in der Geschichte erwähnt werden, etwa das Stück „La Mer“ von Claude Debussy oder „Valse Sentimentale“ von Pyotr Ilyich Tchaikovsky, aber auch den Schlager „Bei mir bist du schoen“, der auch in Nazideutschland erfolgreich war. Marco Simic interpretierte die Musik, gab ihr eine andere Farbe, einen anderen Klang, bis sie zuweilen dunkel, traurig, verletzlich oder verzweifelt wirkte. Der Dialog zwischen Lesung und Musik erzeugte eine Wirkung, die es den Zuhörerinnen und Zuhörern ermöglichte, sich in die Personen der Geschichte, in die Geschehnisse in besonderer Weise hineinzuversetzen. 

Ulrike von der Linden erzählte die Geschichte nicht zu Ende. Sie möchte die Schülerinnen und Schüler dazu anregen, sich mit dem Buch „Alma“ von Dagmar Fohl, das 2017 erschienen ist, näher zu beschäftigen. Sie plädierte dafür, in den Zeiten von zunehmendem Antisemitismus und Rassismus Courage zu zeigen und sich für Menschlichkeit und Toleranz einzusetzen. In diesem Sinne sieht auch Karsten Strack, Künstlerischer Leiter des Literaturbüro OWL, der während der musikalischen Lesung anwesend war, die Aufgabe solcher Literatur-Veranstaltungen an Schulen darin, junge Menschen politisch zu sensibilisieren und ihre Fähigkeit zur Empathie zu fördern. Die Deutschlehrerin Inge Dahl, die die Organisation der musikalischen Lesung am Lüttfeld-Berufskolleg verantwortete, regte die Schülerinnen und Schüler schließlich dazu an, ihre Eindrücke im Unterricht weiter zu reflektieren. Unterstützt wurde die Veranstaltung im Rahmen des Programms "Demokratie leben! - Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit" und durch den Förderverein des Lüttfeld-Berufskollegs. Ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten.